Kapellenstraße 6

Kapellenstrasse 6
08 September 2021

Geschichte des Wohn- und Geschäftshaus Kapellenstrasse 6

 

1785
Erste Hinweise auf eine Bebauung des Grundstückes Kapellenstraße 6 finden sich in einer Steuerliste der Gastwirte (Schildwirte) von 1785. Der damalige Besitzer Franz Evens führte eine Nebenerwerbsgastwirtschaft („In der Sonne“) und einen Krämerladen. Das Gebäude ist ein eingeschossiges Fachwerkgebäude mit einem 48O steilem Satteldach. Man verwendete um diese Zeit stets 48O, da man meinte, dass 45O zu steif aussehen. Die Fassade war verputzt, was zu dieser Zeit große Mode war. Man gab vor, dass dieses aus Brandschutzgründen geschah. Dieses ist widersprüchlich, da die Brandwände zwischen den Häusern unverputzt blieben. Das Erdgeschoss ist vierachsig und das Dachgeschoss dreiachsig.
Jutta Balzer, Archiv Telgte

 

1807   
Das Haus Kapellenstraße 6 hat der Kuchenbäcker/Schenkwirt Johann Heinrich Meyer durch Anstand von dem Bürger Franz Evens 1807 erworben. Wie gut es der Familie Meyer in finanzieller Hinsicht ging, zeigen zahlreiche Grundstückskäufe.
Archiv Telgte

 

1853   
Heinrich Ferdinand von Bobart heiratete 1853 in der katholischen Sankt Clemenskirche Telgte, Anna Maria Mayer, Tochter von dem Kuchenbäcker/Schenkwirt Johann Heinrich Meyer.
Hilmar Henke

 

1860   
Um 1860 wurde das Haus durch einen Neubau ersetzt, nachdem es 1853 durch Einheirat mit Anna Maria Meyer in den Besitz des Kupferschmieds Heinrich Ferdinand von Bobart (*1856, +1908) aus Rietberg gekommen war.
Archiv Telgte

 

1908   
Der Sohn von Heinrich Ferdinand von Bobart, der Kupferschmiedemeister Theodor -Joseph von Bobart (geb. 1856) stellte am 06.04.1908 einen Bauantrag für den Giebelumbau an die Polizeibehörde.

Bauantrag für den Giebelumbau Kapellenstraße 6, Telgte, den 6. April 1908.
Der Kupferschmiedemeister Herr Theodor-Joseph von Bobart beabsichtigt den alten Giebel der Vorderfront abzubrechen und durch einen neuen zu ersetzen. Derselbe soll im Erdgeschoß mit Zement verputzt werden, während das Obergeschoß und der Giebel mit grünen Verbundplatten besetzt wird. Die unteren Fensterpfeiler werden aus guten Backsteinen in Zementmörtel gemauert und mit durchgehenden Eisen abgedeckt. Das Fundament des vorhandenen Giebels sowie ein Teil des Sockels welcher gut ist, soll erhalten bleiben und für den neuen benutzt werden, sodass eine Verschiebung der Fluchtlinie nicht notwendig erscheint.
Unterzeichneter bittet eine hochlöbliche Polizeibehörde ihm baldigst die Genehmigung zu erteilen.
gez. Th.v. Bobart

Archiv Telgte. (Kopie von dem Anschreiben in Sütterlin Schrift siehe Bildergalerie Bild 1)

 

1947   
Anna Brüggemann führte von 1947 bis 1960 als Wirtschafterin den Haushalt der Familie Heinrich von Bobart. Sie pflegte Frau von Bobart und die Schwiegermutter und schließlich auch ihn selbst. Frau Brüggemann hat das Haus an der Kapellenstraße 26 Jahre bewohnt bis zu ihrem Auszug 1973.
Christian Westphälinger (Bildergalerie Bild 3)

 

1960   
Heinrich von Bobart hatte die Kupferschmiede seines Vaters um eine Bauklempnerei und Installationsgeschäft erweitert und bis 1960 weitergeführt. In dem Werkstattgebäude war die Esse noch bis zum Umbau in den späten 1980er Jahren erhalten. Nach dem Tod von Heinrich von Bobart 1960, wurde Anna Brüggemann Eigentümerin des Hauses Kapellenstraße 6
Christian Westphälinger

 

1962   
Frau Anna Brüggemann verkaufte das Haus 1962 an den Buchdruckereibesitzer Wolfgang Hansen. Er will das Haus abreißen und mit den beiden Nachbarzellen Nr.73 und 74 einen Wohnblock errichten, infolgedessen investiert er nichts in die Sanierung des Hauses. Der Landschaftsverband stimmt einen Abriss jedoch nicht zu, da man bestrebt ist, das städtebauliche Bild mit der kleinen Parzellierung (Parzellenschnitt bis 12 m) und die alten Straßenzüge zu erhalten. Von der Stadtverwaltung Telgte ist man bemüht, Herrn Hansen für eine Renovierung der Fassade zu gewinnen, um einer weiteren Zerstörung der Fassade vorzubeugen.
Jutta Balzer, Christian Westphälinger (Bildergalerie Bild 4)

 

1983   
Herr August Brandmann erwarb das Haus Kapellenstraße 6, um es mit einer Kernsanierung der Fassade mit ihrer stuckierten Jugendstilornamentik als auch historische Elemente im Inneren des Hauses zu erhalten.

 

1983   
Die Münsterische Zeitung veröffentlichte am 17.08.1983 einen Artikel über die Häuser in der Kapellenstraße.

„Visitenkarte ist im Vorstadium des Zerfalls“ Straße ist Schandfleck für die gesamte Stadt – Hauseigentümer in die Pflicht nehmen – Anreize schaffen, lauten die Überschriften.
Weiter heißt es „Mein Gott, warum ist die Straße denn so vergammelt?“ Das ist meist der Schreckensruf eines Wallfahrers, der per Bus nach Telgte kommt, auf dem Marktplatz aussteigt und dann einen ersten Blick auf die Kapellenstraße samt Fahnenschmuck wirft. Es ist den Gästen der Stadt auch wirklich nicht zu verdenken, dass sie erst einmal einen Schrecken bekommen. Der Zustand mehrerer Häuser auf dieser Straße, die – gewollt oder nicht – so etwas wie die Visitenkarte Telgtes ist, kann allenfalls noch als katastrophal bezeichnet werden. Zum Teil befinden sie sich schon im Vorstadium des Verfalls. Und diesen Eindruck nehmen die Besucher der Emsstadt dann mit nach Hause. „Die Straße ist ein Schandfleck für die gesamte Stadt“, meint dann auch SPD-Fraktionschef Klaus Beck, der den „trostlosen Zustand“ bedauert. „Wir sind der Meinung, dass in diesem Fall erst einmal die Hausbesitzer angesprochen werden müssen.“ Weiter heißt es in dem Artikel: Besonders eine Fassade hat es dem Stellvertretenden Stadtdirektor angetan: Kapellenstraße Nr. 6 „Dieser Jugendstilgiebel muss unbedingt erhalten bleiben. Die Substanz dahinter ist weniger wichtig.“ Der Giebel wurde schon vom Rat unter vorläufigen Denkmalschutz gestellt. Der nächste Schritt soll nun folgen: “Wir wollen dem Rat vorschlagen, das Haus endgültig unter Schutz zu stellen.“
Münsterische Zeitung 17.August 1983.

 

1986   
Das Wohn- und Geschäftshaus wurde am 07.04.1986 in die Denkmalliste Telgte eingetragen.
Charakteristische Merkmale: Dreigeschossiges, giebelständiges Jugendstilhaus; massiver Backsteinbau mit pfannengedecktem Satteldach. Die beiden oberen Geschosse mit flaschengrünen, glasierten Kacheln verkleidet. Beide Obergeschosse dreiachsig. Die Fenster sind mit stuckierten Zierfeldern versehen. Im zweiten Obergeschoss ein zentrales, dreigeteiltes Fenster, auf beiden Seiten je ein blinder Okulus. Im Giebel Ochsenaugen mit reichem Stuckschmuck. Der Giebel ist geschweift. Zwischen Erd- und erstem Obergeschoß stuckiertes Inschriftenfeld, flankiert von zwei quadratischen Ornamentfeldern. Erdgeschoß vierachsig. Originale Tür in zweiter Achse von links. Die Fenster sind original.
Bescheinigung der Stadt Telgte über die Eintragung des Hauses Kapellenstraße 6 in die Denkmalliste.

 

1988   
Das Werkstattgebäude wurde am 01.08.1988 in die Denkmalliste Telgte eingetragen.
Charakteristische Merkmale: Das hintere Werkstattgebäude, etwa um die letzte Jahrhundertwende zweigeschossig und in Fachwerk-Bauweise errichtet, dokumentiert exemplarisch die Entwicklung des Handwerks innerhalb der Altstadt. Es zeigt, auf welche Weise sich das kleinhandwerkliche Geschehen, das sich ursprünglich mit dem Wohnen unter einem gemeinsamen Dach abspielte, unter Aufgabe des Garten- und Hofgeländes in separaten kleinen Werkstattgebäuden hinter dem Wohnhaus etablierte. Das gut erhaltene Gebäude zeigt sich in seiner Sparfachwerk-Bauweise als ein typischer, letzter Vertreter der kurz nach der Jahrhundertwende erlöschenden Fachwerk-Bautradition mit relativ hohen Geschossen und sehr hochformatigen Fensterformen.
Im Inneren belegt eine noch vorhandene Esse die ursprüngliche Nutzung; im Bereich der Esse ist das Außenmauerwerk massiv ausgeführt.
Bescheinigung der Stadt Telgte über die Eintragung des Hauses Kapellenstraße 6 in die Denkmalliste.

 

1988   
Die Westfälischen Nachrichten veröffentlichte am 17.05.1988 einen Artikel über das Haus Nr. 6 in der Kapellenstraße.

„Kacheln werden neu gebrannt. Anfang August fertig.“ Der Weg war lang – und beschwerlich. Und viele Jahre lang war den Verantwortlichen in der Stadt das Haus Nummer 6 an der Kapellenstraße ein Dorn im Auge. Heruntergekommen, baufällig schäbig. Und dies als ein Gebäude, an dem nicht nur zigtausende von Telgter Besucher vorbeikamen, sondern als ein Haus, von dem Beigeordneter Roeing ob seiner Fassade von „einmalig für die Emsstadt“ sprach.

Weiter heißt es in dem Schriftsatz:

Doch dies wird nun alles ganz anders. Seit einigen Wochen ist das Haus Nummer 6 in „Bearbeitung“, wird von Fachhandwerkern vollständig erneuert, wird „durchrenoviert“, wie Architekt Brandmann erklärte. „Alleine die Umfassungswände bleiben bestehen, der Innenraum wird als zeitgemäßer Wohn- und Geschäftsbereich ausgebaut“, so Brandmann. Ein Blick durch die Fenster der Fassade reicht, um festzustellen, dass dieses Unterfangen nicht gerade leicht ist. Und der Telgter Architekt bestätigt, dass die Unterbringung von modernstem Sanitär, von Heizung, von Zwischenböden, Wänden und dem zu schaffenden Aufgang nicht einfach ist. Doch diese Schwierigkeiten waren noch kein Vergleich zu jenen, die vor dem Ausbau standen. Als denkmalgeschütztes Gebäude.
All dies ist jedoch Schnee von gestern. Die Arbeiten haben begonnen, die Renovierung wird, wenn alles im Terminplan bleibt, voraussichtlich zum August fertig. Danach wird die Buchhandlung Spangenberg – Spiegel die Geschäftsräume im Erdgeschoß nutzen, zwei Wohnungen sind im Haus noch vorgesehen. Das hinter dem denkmalgeschützten Gebäude Nummer sechs liegende Werkstattgebäude (das nicht in der Denkmalliste durch den Landeskonservator aufgeführt wurde) wird vom Bauherrn ebenfalls erhalten. Es soll, angeschlossen an das Vorderhaus, die Geschäfts- und Wohnbereiche vergrößern. Sehr viel Mühe machen sich Besitzer und Architekt auch mit der Fassade, dem „Schmuckstück“ des Hauses an der Kapellenstraße. „Wir haben sogar teilweise die grünen Kacheln ersetzen müssen und sie dazu eigens brennen lassen“, erklärte Brandmann einen Teil der Schwierigkeiten, mit denen solche Renovierungen verbunden sind. „Auf der einen Seite steht die verlangte Wirtschaftlichkeit, auf der anderen Seite sollen solche Häuser möglichst so erhalten bleiben, wie sie waren“.
Westfälische Nachrichten 17. Mai 1988

 

1988   
Im Hebst 1988 bezieht die Buchhandlung Spangenberg – Spiegel die Geschäftsräume im Erdgeschoß des Hauses Kapellenstraße 6.
Westfälische Nachrichten 2007

 

2007   
Am 1. Januar 2007 gab es einen Wechsel in der Buchhandlung Kapellenstraße 6, Walburga Westbrock wird neue Eigentümerin der Buchhandlung und ändert die Firmierung in LesArt um. Nach der Ausbildung zur Buchhändlerin war Walburga Westbrock rund zehn Jahre  in Baden - Württemberg in diesem Metier tätig und absolvierte die Ausbildung zur Fachwirtin im Buchhandel. Da sie vor etlichen Jahren während ihres Germanistik-Studiums bereits ein Praktikum bei Elisabeth Spangenberg-Spiegel gemacht hatte, nahm sie das Angebot zur Übernahme gerne an. Die Buchhandlung LesArt bleibt natürlich auch Servicepartner der Westfälischen Nachrichten.
Westfälische Nachrichten 2007

 

Danksagung

Ich möchten mich bei allen herzlich bedanken, die mich mit Informationen unterstütz haben, Fred Kaspar, Klaus Schwinger, Reinhold Schmelter, Ingo Mayer, Britta Stratmann, Jutta Balzer, Christian Westphälinger und Julia Plötzgen.

 

Hilmar Henke